Die Weltreise
in (mehr als) 80 Tagen
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Gelegentlich erwartet man von besonderen Ereignissen, dass sie schon im Vorfeld von Überraschungen überhäuft werden. Ich denke, eine Reise in 241 Tagen um die Welt kann man durchaus mit dem Adjektiv besonders versehen, aber es stellte sich keine Überraschung ein. Der neue maschinenlesbare Pass ist, versehen mit einem Visum der indischen Botschaft, nicht zwischen Berlin und dem Rheinland verloren gegangen, sondern rechtzeitig zu mir gelangt. Die Koffer sind gepackt, und um auf die übliche Damenfrage direkt zu antworten – nein, ich nehme keine Schrankkoffer mit auf die Reise, sondern habe mein Gepäck auf eine dreiwöchige Abwesenheit abgestellt und das war immer noch zu viel, wie sich zwischenzeitlich herausgestellt hat. Ich habe mir auch kein Bein gebrochen. Alles lief planmäßig, wie bei einer normalen Wochenendreise in den Schwarzwald.

Auch der Flug war „on schedule“ und landete pünktlich in Delhi, kurz nach Mitternacht des 9.Oktober 2009. Die meisten Interkontinentalflüge landen dort planmäßig in der Nacht, vielleicht weil die Nacht das Talent hat gewisse Unebenmäßigkeiten zu kaschieren. Mich erwartete als erste der „Medical Doctor“, na klar, ich komme ja aus einem Land, das von Schweinegrippe verseucht ist, da muss man äußerste Vorsicht walten lassen. Eine in klinischem Weiß gekleidete und natürlich mit einem Mundschutz arbeitende Ärztin nahm das von mir sorgfältig ausgefüllte und unterfertigte Formular entgegen. Ein strenger Blick richtete sich nicht nur auf das Dokument, mit den zwangsläufig verneinten Fragen, sondern auch auf mich. Kann man vielleicht ein Symptom von H1N1 ausmachen? Ein kleiner Husten, eine wegen erhöhter Temperatur etwas befeuchtete Stirn würden ja ausreichen um die Maschinerie in Bewegung zu setzen, die verhindert dass ein deutscher Staatsbürger Krankheitserreger in ihr Land einschleppt und damit seine 1,1 Mrd. Einwohner der Ausrottungsgefahr aussetzt. Zuerst H1N1 „isolation room“ und dann? Aber nein – zwei kräftige Applikationen des Stempels, die dieser kleinen Person gar nicht zuzutrauen waren, besiegelten mein Schicksal. Ich durfte einreisen. Natürlich konnte der Beamte der eigentlich zuständigen Behörde sich, bei all der Autorität seiner fachfremden Kollegin, diesem Votum nur anschließen. „Abka India me swagat hai“. Willkommen in Indien.

In „arrivals“ wartete ein Mitarbeiter der lokalen Reiseagentur, der mich mit freundlichem Anglo-Indo Singsang begrüßte. Um 2:00 Uhr war ich im Hotel und konnte mein Zimmer beziehen. Ich bettete mein müdes Haupt und schlief schnell ein. Wo bleiben die Überraschungen?

Am nächsten Morgen – ich gebe zu eher zur Mittagszeit - begrüßte mich mein Reiseführer in Delhi. Sani spricht hervorragend Deutsch, das er in Indien am Goetheinstitut gelernt hatte. Er lebt in Delhi, einer Stadt mit 16-17 Mio. Einwohnern, die jeden Tag weitere 1000 Zuwanderer (im Saldo) aufnimmt und durch den Geburtenüberschuss noch weiter wächst. Das Wetter war hervorragend. Etwas über 30 Grad, bei erträglicher Luftfeuchtigkeit. Dieser positive Eindruck wurde sehr bald durch ein Phänomen vernichtet, was mit Lärm, Gestank und totaler Unordnung über mich hereinbrach – der indische Autoverkehr. Er scheint nach dem Prinzip zu funktionieren, dass die Missachtung aller  Verkehrsregeln der einzige Weg ist sein Ziel zu erreichen. Ein lautes Horn, die anderen Verkehrsteilnehmer warnend, dass ein Anprall kurz bevorsteht wenn sie das Feld nicht räumen, scheint das einzige Instrument zu sein Schaden an Leib und Leben abzuwenden. Man fährt auf der linken Seite, was eines der Überbleibsel der britischen Kolonialzeit ist, ebenso wie die Schuluniform, Tee mit Milch, Kricket und die Eisenbahn wie Sani, nicht ohne einen gewissen ironischen Unterton, anmerkt.

Unser erstes Ziel war die Altstadt, wo die Verkehrsverstopfung noch zunahm. Meine angekündigte Rikschafahrt fand zur heißesten Tageszeit statt. Dies bereitete meinem, im Vorfeld bereits mit Bedauern überschütteten, Beförderer aber weniger Mühe als befürchtet. Er scheint in der Beförderung von Personen, deren Konfektionsgröße nicht im Durchschnitt liegt, durchaus einige Übung zu haben. Die Altstadt, die von Shahjahan gebaut wurde, besteht heute aus einer Ansammlung von kleineren Geschäften und Ständen, die von der Fahrradnabe über Obst und Gemüse bis zum Parfüm alles anbieten, was ein Inder zur Bewältigung der Forderungen des Tages benötigt. Shahjahan wird uns in Agra nochmals begegnen.

Anschließend haben wir die gewaltige, aus rotem Sandstein und weißem Marmor erbaute Freitagsmoschee Jama Masjid aus dem 17.Jahrhundert besichtigt, die nach dem Gebet auch für die Nichtgläubigen zur Verfügung steht. Hier finden, während des Gebets 20.000 Muslime Platz. Ein Besuch des Roten Fort war nicht möglich, weil es größtenteils vom Militär in Anspruch genommen ist. Weiter zum Grab Mahatmas Ghandi. Man sollte es eher eine Gedenkstätte nennen, weil der Leichnam Ghandi`s dem Hindu Glauben entsprechend, genau wie weitere berühmte Persönlichkeiten, z.B. Nehru und Indira Ghandi, verbrannt und seine Asche im Ganges verstreut wurde. Auf dem Weg zum Hotel, kurz am Präsidentenpalast vorbei, der noch von den Engländern erbaut wurde, die 1911 den Verwaltungssitz ihrer Kolonie von Kalkutta nach Delhi verlegten.

Am Abend habe ich, auf Empfehlung von Sani, ein südindisches Restaurant – ich würde es eher coffee shop nennen -  besucht, und Thali gegessen. Es werden verschiedene kleine vegetarische Portionen auf einem Tablett serviert.  Ausgesprochen delikat mit einer differenzierten Intensität an Schärfe, für den occidentalen Gaumen, auch mit geminderter Leidensfähigkeit, durchaus sehr gut genießbar. Das ganze, mit Reis, Brot, Nachtisch und zwei Lassi (gesalzen) für 300 Rupien (ca. 5 EURO).

Am nächsten Tag fahren wir zu  Humayun`s Grab im Südosten der Stadt. Vielleicht sollte ich dies zum Anlass nehmen etwas über die Geschichte Indiens zu berichten. 1500 v.Chr. besiedelten hellhäutige Nomaden aus Zentralasien, die Arier, den Norden. Ihre Sprache war das Sanscrit, in dem die heiligen Bücher der Veden geschrieben wurden. Verschiedene hinduistische Dynastien (zu den Religionen werde ich später noch etwas sagen) herrschten über das Land, bis im 13.Jahrhundert wieder aus Zentralasien kommend, neue Eindringlinge das Land eroberten. Sie bekannten sich zum Islam und errichteten das Sultanat von Delhi das bis 1526 Bestand hatte. Dann kamen die Nachfolger von Dschingis Khan, vertrieben ihre Glaubensbrüder und gründeten das Mogulreich. Muhammad Babur war der erste Großmogul. Seinem Sohn Humayun, dessen Grab wir nun besichtigen, war leider nur eine kurze Regierungszeit vergönnt. Er starb durch einen Unfall. Sein Sohn Akbar, der schon mit 13 Jahren den Thron besteigen musste, war in späterer Zeit ein weiser Herrscher für das Land. Er verstand es die alten Herrschergeschlechter insbesondere die Rajputen, in die Führung des Landes zu integrieren, indem er ihnen Staatsämter gab und ihren Glauben und die Bräuche respektierte. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts zerfiel die Mogulherrschaft in verschiedene Kleinstaaten. Mit dem Erscheinen der Engländer wurde ein neues Kapitel im indischen Geschichtsbuch aufgeschlagen. Sie etablierten zuerst über Handelsgesellschaften, mit dem Brückenkopf Kalkutta, ihren Einfluss. Mit Unterstützung des Heeres besetzten sie schließlich das ganze Land und plünderten es aus. Erst die semi-friedliche Revolution unter der Führung von Ghandi brachte Indien 1947 die Unabhängigkeit, wenn auch nicht in seiner gesamten territorialen Ausdehnung. Der mehrheitlich islamisch besiedelte Teil im Westen und im Osten wurde zu West- und Ostpakistan (heute Bangladesh). Fast 1000 Jahre war Indien unter Fremdherrschaft, größtenteils islamischer Provenienz. Deshalb sind viele Kulturstätten in Nordindien islamischen Ursprungs.

Das Grabmal des Humayun (hier hatte ich meinen Reisebericht kurz unterbrochen) wurde in rotem Sandstein, von seiner Witwe erbaut, und soll Shahjahan als Vorbild für des Taj Mahal, das allerdings noch viel prächtiger ausgefallen ist, gedient haben.

Es geht weiter nach Süden. Die Verkehrsdichte, auf das was die Inder Strassen nennen, nimmt zu. In Delhi sollen 5 Mio. Fahrzeuge gemeldet sein. Sani beruhigt mich: „Es funktioniert nichts in Indien, aber es klappt alles“. Nun denn.

Das Ziel ist Qutb Minar ein 72 m hohes Minarett, das im 13.Jahrhundert also noch vor der Mogul Zeit, von Qutb-ud-din-Aibak, dem ersten Sultan Delhis, zum Gedenken an seinen Sieg über die Hindus, erbaut wurde. Direkt daneben ließ er die gleichnamige Moschee erbauen. Dies ist an sich durchaus nachzuvollziehen. Das Pikante an der Situation ist der Bau auf dem Platz eines Hindu Tempels aus dem 5.Jahrhundert. Damit nicht genug. Für den Bau seiner Moschee nutzte Qutb die Steine des Hindutempels, offensichtlich nach dem Motto „denen zeig ich es mal“. Einer der Unterschiede zwischen sakralen Moslem und Hindubauten ist die völlige Abwesenheit von darstellender Kunst in der islamischen Architektur. Die Reste des Hindutempel zeigen auch mit welcher Konsequenz fast alles Darstellende beseitigt wurde.

Am nächsten Tag 5 Stunden Autofahrt über gewöhnungsbedürftige Straßen die, trotz eines Sonntags, unter der üblichen Verstopfung litten. Links und rechts der Strassen kann man die wirtschaftliche Not der indischen Bevölkerung wahrnehmen. Armselige Hütten sind zwischen Feldesrand und Strasse errichtet und sind sowohl Unterkunft wie Ladengeschäft. Der wirtschaftliche Boom in Indien ist an dem größten Teil der Bevölkerung überwiegend spurlos vorbeigegangen. Das Wohlstandsgefälle hat zugenommen.

In Fatehpur Sigri erwartet mich Soschi mein Führer für die nächsten Tage. Wir besichtigen den Palast und die Moschee die ebenfalls aus rotem Sandstein, von Akbar (wir kennen ihn bereits) erbaut wurde. Akbar hatte 3 Frauen, eine Muslime, eine Hindu und eine Christin. Leider wollte sich kein Nachwuchs einstellen und Akbar brauchte dringend einen Thronfolger. In seiner Not wandte er sich an einen lokalen Heiligen, der ihm als Ergebnis seiner Beratung, die Geburt von männlichen Nach- kommen prophezeite. Er sollte Recht behalten. Der erste Sohn Akbars kam zur Welt. Welchen Empfehlung Chisti Akbar gab ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich war es der einfache Ratschlag sich mehr um seine Ehefrauen und weniger um seine 400 Konkubinen zu kümmern. Als Dank für dieses Erfolgserlebnis verlegte Akbar seinen Regierungssitz nach Fatehpur Sigri. Die Stadt musste allerdings schon nach 14 Jahren aus Wassermangel aufgegeben werden. Übriggeblieben  ist ein sehr gut erhaltenes Zeugnis aus der frühen Mogul-Zeit, das wie Humayan`s Grab und Qutb Minar von der UNESCO als Welterbe klassifiziert wurde.

Weiter ging es nach Agra zu einem der Höhepunkte des indischen Abschnitts – Taj Mahal. Im Hotel angekommen stellte ich fest das es an der Zeit war mein Haupthaar wieder in eine angemessene Form zu bringen. Ein aufregendes Erlebnis bei einem Barbier! Der indische Performance Künstler – so schwebte er jedenfalls um meinen Sessel – ließ die Scheren richtig blitzen, blitzen wie die dunklen Augen, die konzentriert auf sein Opfer fixiert waren, und dabei fast vollständig das helle Weiß seines Augapfels in den Hintergrund treten ließ. Die Scheren klapperten durch den Urwald meines Haares und die Pfade der Verwüstung, die sie augenscheinlich unkoordiniert dort hinterließen, ergaben schließlich doch eine ästhetisch gelungene Struktur. Es kam die Zeit des Rasiermessers, das mit einer gewissen Andacht aus dem Schaft gezogen wurde. Jede Sehne seines Körpers war gespannt.  Die Mundwinkel zuckten in einer sachten Erbebung. Der scharfe Stahl näherte sich meinem Hals, geführt von einer scheinbar sicheren Hand. Die Leichtigkeit dieser Annäherung wurde durch die Abspreizung des kleinen rechten Fingers pointiert, was eine Assoziation mit der Handhaltung englischer Ladies beim “afternoon tea“ hervorrief. Der Angriff kam. Das Rasiermesser wirbelte um meine Halsschlagader. In horizontalen und vertikalen Passagen umkreiste es meinen Hals.  Die Intensität ließ nach, sie verebbte, das Werk war vollbracht. Mit erkennbarer Satisfaktion ertönte das Markenzeichen meines indischen Barbiers – das genussvolle Ansaugen der überschüssigen Schleimhaut durch die cavum nasi in den pharnyx. Hurra, ich lebe noch!

Das Taj Mahal, Welterbe der UNESCO und eines der neuen sieben Weltwunder, ist für mich eines der schönsten Baudenkmäler außerhalb Europas. Es wurde von Shahjahan für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal, die kurz nach der Geburt ihres 14. Kindes starb, als Grabstätte errichtet. Humayun`s Grab war das Vorbild. Das Grundgerüst beider Grabstätten war roter Sandstein, wobei das Taj Mahal insgesamt größer gebaut und der rote Sandstein mit weißem Marmor aus Rajastan verkleidet wurde. In der Bildergalerie können beide Bauten gut verglichen werden. Das Taj Mahal hat zusätzlich 4 Minarette, deren Neigung vom Denkmal weg geht um im Falle eines Erdbebens das Grabmal nicht zu zerstören. Der weiße Marmor ist überzogen mit Intarsienarbeiten bei denen 9 verschiedene Halbedelsteine verwandt wurden. 20.000 Arbeiter haben 22 Jahre gebraucht um es zu vollenden. Die Architektur des Taj Mahal zeichnet sich durch absolute Symmetrie aus. Wie bei meinem ersten Besuch war ich ganz ergriffen von der Aura, die das Denkmal umgibt. In andächtiger Stille besichtigen die Menschen das Denkmal und wandeln durch die Parkanlagen. Und doch umgibt das Grabmal eine gewisse Tragik. Shahjahan wurde von seinem dritten Sohn Aurangzebs, der schon seine älteren Brüder umgebracht hatte, gestürzt und im Roten Fort, in der Nähe des Taj Mahal, festgesetzt. Schahjahan starb dort nach sieben Jahren Haft. Er hatte in dieser Zeit, in etwa den Blick auf Taj Mahal, der in der Fernsicht - Aufnahme in der Bildergalerie eingefangen wurde. Man hat ihn neben dem Grab seiner Frau im Taj Mahal bestattet.

Am nächsten Tag Zugfahrt nach Jhansi. Dann weiter mit dem Auto über sich verschlechternde Straßen (wenn das überhaupt noch geht) nach Orcha. Besichtigung einer Festungsanlage aus dem 16.Jahrhundert, mit sehr schönen noch im Original erhaltenen Fresken. Am späten Nachmittag Ankunft in Khajuraho.

Die Tempelanlagen in Khajuraho stammen aus der Zeit vor der islamischen Herrschaft in Indien. Die meisten Tempel wurden im 10. und 11. Jahrhundert n.Chr. in der Zeit der Chandella Dynastie, einem Rajputen Clan, erbaut. Nach dem Ende der Dynastie im 12.Jahrhundert wurden die Anlagen verlassen und langsam durch den Dschungel überwuchert. Erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts wurde sie wiederentdeckt. Von den ursprünglich 85 Tempel sind heute noch 22 erhalten.

Die im späten Hindu Baustil gestalteten Tempel wurden aus weißem Sandstein erbaut und sind mit über 2000 Plastiken verziert, von denen etwa 100 erotische Motive darstellen. Khajuraho wird gelegentlich fälschlicherweise deshalb als Stadt des Kamasutra bezeichnet. Das in Sanscrit geschriebene Kamasutra datiert aber schon aus dem 2. oder 3.Jahrhundert n.Chr.. Ich verlasse Khajuraho und fliege nach Varanasi, der heiligen Stadt der Hindus, nicht ohne 1250 Rs. (ca. 18 EURO) Übergepäck bezahlt zu haben.

Der Hinduismus ist die drittgrößte Religionsgemeinschaft der Welt und ca. 3000 Jahre alt. Er ist auf keinen einzelnen Gründer zurückzuführen, auch hat der Hinduismus kein singuläres Buch, wie die Bibel oder der Koran, die den ethischen Rahmen für die Gemeinschaft der Menschen absteckt. Es gibt viele heilige Schriften, aber keine ist allgemein verbindlich. 80 % der in Indien lebenden Menschen bekennen sich zum Hinduismus, etwa 15 % zum Islam. Die Hinduisten verehren viele Götter und jedem steht es frei, ob er nun Brahma, Vishnu, Shiva, Ganesha oder eine Tier- oder Baumgottheit verehrt. Aufgrund dieser Pluralität hat der Hinduismus  eine hohe Anziehungskraft für viele, die aus monotheistischen Glaubensstrukturen kommen. Obwohl alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, ist das Kastensystem im religiösem Leben immer noch verankert. In der Bhagavadgita, eines der heiligen Bücher der Hindus, die Mahatma Ghandi sein „spirituelles Konversationslexikon“ nannte, wird den Gläubigen eine Richtschnur zur Selbstverwirklichung an die Hand gegeben :Jnana ,den Weg des Wissens ,den Weg der Liebe und Karma, den Weg der guten Taten. Wir haben in Europa eine lineare Vorstellung der menschlichen Entwicklung, wir haben mit der Geburt einen Beginn und mit dem Tod ein Ende der irdischen Existenz. Für die Hindus ist der Mensch ein Teil des „samsara“, des sich ewig drehenden Rads der Wiedergeburten. Die soziale Stufe in der ein Hindu wiedergeboren wird kann er durch Handeln, durch „Karma“ - den Weg der guten Taten – bestimmen.

Kurz nach dem Einchecken am frühen Nachmittag geht es bereits weiter zu den „Ghats“, den Badetreppen am Ganges, wo allabendlich eine Andacht stattfindet um die Mutter „Ganga“ zu ehren. Hindu-Gläubige aus aller Welt finden sich hier täglich ein um diesem spirituellen Ereignisses zu folgen. 7 Hindu Priester zelebrieren die Andacht mit einer Aura der freudigen Erwartung an den Fluss aller Flüsse. Die melodischen Lieder, die ertönen, veranlassen viele Gläubige einzustimmen. Es ist ein sehr lebendiges Ereignis, dass freudige hoffnungsfrohe Grundstimmung ausstrahlt.

Wir fahren mit der Rikscha und dem Auto zurück ins Hotel.

Am nächsten Morgen sehr frühes Wecken. Um 05:15 Uhr geht es noch einmal zu den „Ghats“, wo die Morgenandacht stattfindet. Der Verkehr ist um diese Zeit erträglich. Die ersten Menschen sind aber schon unterwegs. Einige sind aber immer noch dort, wo die Nacht sie zurückgelassen hat. Ein Rikschafahrer schläft auf dem Sitz, auf dem normalerweise seine Gäste Platz nehmen. Sein tägliches Einkommen reicht gerade zum Überleben, jedoch nicht für ein festes Dach über dem Kopf. 30 % der indischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Nahezu ein Viertel ist mit dem Stigma der Unberührbarkeit versehen. Man nennt sie Dalis oder Adivati. 25 % der männ- lichen Bevölkerung sind Analphabeten, bei der weiblichen Bevölkerung steigt diese Quote sogar auf 50 %, keine guten Aussichten für vorteilhaftere Lebensumstände in diesem Zyklus aber Hoffnung auf ein besseres Leben in einem neuen Körper nach der Wiedergeburt.

Wir gehen durch die Straßen zum Ganges, begleitet von hunderten Hindu Gläubigen, die Lieder zur Verehrung ihres Gottes anklingen lassen. Schellengeläut begleitet uns auf dem Weg zu den „Ghats“. Der gestrige Frohsinn hat einer andächtigen, feierlichen und beschaulichen Stimmung Platz gemacht. Alte und junge Menschen machen sich bereit für ihr Bad am heiligsten Abschnitt des Ganges. Varanasi ist die älteste, dauerhaft besiedelte, Stadt unsere Planeten. Sie ist an diesem Platz vor ca. 6000 Jahre erbaut worden und das Heiligtum der Hindus schlechthin. Wir schreiten hinab zum Fluss und nehmen in einem der wartenden Boote Platz. Langsam fahren wir an den verschiedenen Treppenabschnitten vorbei Flussaufwärts. Just an diesem Ort hat die Natur oder heilige Mächte die Fliessrichtung des Ganges, die ab der Quelle von Nord-West nach Süd-Ost verläuft, verändert. Er fließt jetzt von Süd nach Nord. Immer mehr Menschen kommen, jetzt wo der Horizont von der aufgehenden Sonne in ein gleißendes Gelb-Rot getaucht wird, die Treppen hinab zum Fluss. Die Männer entledigen sich ihrer Kleidung, sie behalten nur das Nötigste an, die Frauen schreiten langsam, noch mit ihren Saris bekleidet in das Wasser. Sie tauchen ein und langsam wieder auf, die Hände zum Gebet gefaltet mit Worten der Andacht auf ihren Lippen, seien sie nun an Laxmi, Parvati oder eine andere Gottheit gerichtet. Man gewinnt den Eindruck, dass das brackige Wasser des Ganges sich noch dunkler färbt von all dem Schmerz, Kummer und Sünde,  von dem die Seele dieser Menschen durch das Bad gereinigt wird. Gänsehautatmosphäre. Ich bin noch einmal nach Indien gereist um Varanasi zu erleben – und das war eine gute Entscheidung.

Wir drehen das Boot, werden jetzt flussabwärts getrieben, und nähern uns einem der vielen Verbrennungsplätze, die sich am Fluss befinden. Wenn ein Hindu in Varanasi stirbt und am Ufer des Ganges verbrannt wird, durchbricht er den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt und erreicht direkt die Erlösung.

Am nächsten Tag besichtigen wir Sarnath, den Ort wo Siddharta seine erste Predigt hielt, heute eine Pilgerstätte für Buddhisten aus aller Welt. Mehr zu Buddha und seiner Lehre wenn wir die anderen südostasiatischen Länder erreichen. Indien ist den Hindus.

Am nächsten Tag verlasse ich diesen uralten Platz der Erdgeschichte und reise nach Norden auf das „Dach der Welt“, oder wenigstens in die Nähe davon. Zum Schluss noch eine kleine Episode, die mir Sani erzählt hat. Er berichtete mir von einem US-Bürger, den er ebenfalls zu Qutb Minar aus dem 13.Jh. geführt hatte. Nach einer gewissen Zeit kam die Frage: „Has this been built before or after the first World-War“? „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“, insbesondere für Bürger junger Staaten.

 

 

Jean Passepartout

 

 

 

 

      

            

 

 

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