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Wir haben gerade „Ga Rang“ hinter uns gelassen. Ein kleiner Marktflecken etwa eine Stunde Bahnfahrt von Lao Cai entfernt. Nhi, mein Führer und ich sitzen in der dritten Klasse des Zuges und hoffen, dass uns das Schienenfahrzeug mit holzbestuhlten Abteilen aus der Zeit der französischen Kolonialherrschaft in weniger als 10 Stunden in das 350 Kilometer entfernte Hanoi bringen wird. Das Wetter hat uns vertrieben. Sa Pa liegt auf 1600 m und die Temperaturen können im vietnamesischen Winter, dem wir ausgesetzt sind, auf den Gefrierpunkt sinken. Als das kleine Bergdorf sich fröstelnd unter einer Decke von tiefliegenden Wolken erhob, war es an der Zeit diesen Ort im Norden Vietnams, nahe der Grenze zu China, vorzeitig verlassen. Wenn man in Deutschland ad hoc eine Änderung seines Reiseplans verwirklichen will, so gelingt dies in aller Regel ohne große Mühe und in angemessenem komfortablen Ambiente. Aber hier am 22. Breitengrad herrschen andere Gesetze. Von Lao Cai, etwa eine Autostunde von Sa Pa entfernt, fahren zwei Züge nach Hanoi. Der Nachtzug, auf den ich nicht warten wollte, dessen Gegenpart mich von Hanoi in diese alpine Gegend transportierte und der neben komfortablen Bettkojen auch einen Speisewagen mitführt, und der Zug, der um 9:15 Uhr Lao Cai verlässt, der nur Wagen der dritten Klasse, ohne Speisewagen, sanitäre Einrichtungen und gepolsterte Sitzgelegen-heiten, führt, und der mit geringer Geschwindigkeit gen Hanoi holpert. Wer einen gewissen Einblick in die Psyche und Vorlieben von Jean Passepartout gewinnen konnte, kann erahnen in welchem Gemütszustand er sich befand um solch unkomfortable Transportmittel in Kauf zu nehmen.

Der Zug klappert durch die Yen Bai Provinz. Meine gelegentliche Frage an Nhi, welchen Ort wir durchfahren, wird immer durch den Hinweis Lao Cai Provinz oder Yen Bai Provinz eröffnet. Erst mein Drängen nach genauer Bezeichnung der Örtlichkeit an der wir uns befinden lässt ihn, mit immer freundlichem Lächeln, das Geheimnis enthüllen: Lang Bo Stadt in Yen Bai Provinz. Die Provinz scheint unheimlich wichtig zu sein. Nhi hat 2 Jahre in der Nähe von Dresden in einem Maschinenbaukombinat gearbeitet. Für einen Asiaten ein kurzer Zeitraum um die deutsche Sprache zu erlernen. „Nhi, pass mal auf“, sprech ich ihn an, „in Deutschland erwähnt man nicht das Bundesland, wenn man nach einem Dorf oder einer Stadt gefragt wird. Man antwortet nicht „Bonn Stadt in Nordrhein-Westfalen Land, sondern einfach Bonn“. „Hahsoo“ kommt als Erwiderung. Diese Replik hat sich in den auditorischen Verarbeitungsarealen seines Gehirns festgesetzt, sie ist dort tief verankert, sie wird quasi reflexartig nach jedem 3. oder 4. Satz an die aktiven Artikulationsorgane weitergegeben um dann an das Ohr des Zuhörers zu gelangen „Haahsooo“. Er ist ein liebenswerter Kerl.

Der Zug hält an jeder mittelgroßen menschlichen Ansiedlung. Unser Abteil füllt sich langsam. Ich bin der einzige Nicht-Vietnamese weit und breit. Fliegende Händler besteigen den Zug und bieten ihre Waren an. Klebreis mit getrocknetem Fleisch, Brühe mit Huhn oder Schweinefleisch, Obst und Getränke, sogar Tabak in einer großen Bambusrohrpfeife wird angeboten und von einer Reihe meiner Mitreisenden auch in Anspruch genommen. Drei bis vier genussvolle Züge, dann ist der nächste dran. Ich kaufe drei gekochte Eier und zwei Tüten ungerösteter Erdnüsse für 10.000 Dong, das sind ca. 0,35 EURO. Es gibt Millionen von Millionären in Vietnam. Gegen zwanzig Uhr, nach knapp elf Stunden Zugfahrt, kommen wir in Hanoi an. 

Passepartouts Leidensfähigkeit hat eine Bewährungsprobe bestanden. Als ich am 37.Tag meiner Reise um die Welt in Hanoi ankam und mit Nhi auf dem Weg in die Stadt war, bemerkte ich eine Veränderung. Wir fuhren wieder auf der rechten, der richtigen Seite der Strasse. Ich habe ehemaliges englisches Kolonialgebiet verlassen und befinde mich jetzt in Indochina, in Vietnam, wo der französische Kolonialeinfluss prägend war.


Das vietnamesische Königreich Reich Au Lac, dessen Herrschaftsgebiet im Delta des Roten Flusses (Tonking-Delta) lag, geht auf das 3.Jh. v. Chr. zurück. Doch schon 111 v.Chr. eroberte die chinesische Han-Dynastie Nam Viet (Land im Süden) und begründete eine tausendjährige chinesische Herrschaft.  Der Konfuzianismus wurde zur Staatsideologie erhoben und Chinesisch wurde Amts- und Literatursprache. Erst im Jahre 938 konnten sich die Vietnamesen von der chinesischen Besatzung befreien. Der vietnamesische Heerführer Ngo Quyen besiegte sie und gründete ein unabhängiges Vietnam, das sich im laufe der Jahrhunderte von seinem Kerngebiet im Delta des Roten Flusses langsam nach Süden ausdehnte und dort zunächst auf die Cham traf. Während die „Dai Viet“ des Nordens immer noch konfuzianisch ausgerichtet waren, ließen sich die indisierten „Cham“ von der hinduistischen und später buddhistischen Weltsicht leiten. Im 15.Jh. zerfiel das Cham Reich. Heute lebt noch eine kleine Minderheit in der Küstenregion im Süden von Vietnam. Der Vormarsch ging weiter bis ins Mekong Delta und die Khmer, deren Einflussbereich von Angkor dorthin ausstrahlte, leisteten nur wenig Widerstand. Zahlreiche Bürgerkriege zersplitterten das Land, bis schließlich Nguyen Anh, dank französischer Waffenlieferungen, 1802 die Macht über das Land gewann, das ab jetzt Vietnam genannt wurde, und den Kaisersitz nach Hue verlegte. War Frankreich ursprünglich nur eine Handelsmacht, so wurde 1858 daraus eine Kolonialmacht, die bis 1883 das ganze Land unter ihre Kontrolle brachte. Auflehnungen wurden im Keim erstickt. Erst 1941 vereinten sich alle vietnamesischen Widerstandsgruppen unter der Führung von Ho Chi Minh im Kampf zur Befreiung von Vietnam, das damals unter der Doppelherrschaft von Franzosen und Japanern stand.

Durch den Sieg der Vietnamesen in der Schlacht von Dien Bien Phu endete die Herrschaft der Franzosen 1954, die der Japaner war bereits nach dem zweiten Weltkrieg zu Ende. Indochina wurde neugeordnet und Vietnam am 17.Breitengrad geteilt. Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die Lage in Süd-Vietnam immer prekärer. Zwangsumsiedlungen, Korruption, Buddhisten- und Kommunistenverfolgungen des katholischen Diem-Regimes riefen eine süd-vietnamesische Befreiungsfront auf den Plan, die in den westlichen Medien Vietkong (vietnamesische Kommunisten) genannt wurden. Die USA die bereits den größten Teil der Kriegskosten der Franzosen getragen hatten, reagierten. Die unter Eisenhower entwickelte Domino-Theorie ging davon aus, dass sobald ein Land unter kommunistischen Einfluss gerät, benachbarte Länder automatisch auch diesem Einfluss anheimfallen würden. Um dies zu verhindern wurde auch Süd-Vietnam finanziell und mit Beratern unterstützt. Da die Vietkong jedoch sehr erfolgreich gegen die südvietnamesischen Streitkräfte agierten, entschloss sich die USA 1964 zum militärischen Eingreifen und steigerte seine Truppenpräsenz schließlich auf 500.000 Mann. Der Erfolg blieb aus. Insbesondere aufgrund der weltweit öffentlichen Meinung wurden die amerikanischen Truppen 1973 aus Vietnam abgezogen. Der verbleibende Bürgerkrieg endete mit einem Sieg der Vietkong. Seit 1976 ist Vietnam als „sozialistischer Staat Vietnam“ wiedervereinigt, mit Hanoi als Hauptstadt.

Hanoi ist dem Zeitgeist bisher noch nicht anheim gefallen, keine monumentalen Hochhausbauten, wie in einigen anderen südostasiatischen Hauptstädten, wie in Kuala Lumpur und Bangkok, verunzieren die Skyline, sondern die Bauten der Franzosen mit ihrem nonchalanten Kolonialcharme sind ein Kennzeichen der Stadt sowie Fahrräder und Mopeds, die sich geschickt im Straßenverkehr gegen die größeren Familienmitglieder zur Wehr setzen. Knapp 90 Mio. Menschen leben in Vietnam, auf die 20 Mio. Fahrräder, 18 Mio. Moped und 2 Mio. Kfz entfallen. Atemschutzmasken und Schutzhelme haben sich hier zum modischen Accessoire entwickelt.

An einem Sonntag machten sich der getreue Nhi und Passepartout auf den Weg, um die historischen Landmarks der Stadt zu erkunden. Das Ho Chi Minh Mausoleum, in dem der Vater der Nation, der 1969 starb und den Sieg über die USA und den Süden nicht mehr erleben konnte, entgegen seinem Willen (er hatte eine einfache Verbrennungsbestattung in seinem letzten Willen verfügt) bestattet wurde, steht genau an der Stelle an dem er 1945 vor einer halben Millionen Menschen die Unabhängigkeitserklärung verlas. Das Museum ist auch heute noch eine Pilgerstätte für viele Vietnamesen, so auch an diesem Sonntag. Die Frauen erscheinen in farbenfroher Vielfalt, viele in Seide gekleidet, die Männer im Sonntagsanzug haüfig sogar mit Krawatte. Vietnamesen legen Wert auf saubere, schöne und akkurate Kleidung. Wir kommen vorbei an alten kolonialen Schönheiten, anders kann man die französischen Bauten des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts nicht bezeichnen. Die Einsäulenpagode, der älteste erhaltenen Sakralbau der Stadt, ist leider kein Ruhmesblatt der ehemaligen Kolonialmacht. Nach ihrer Niederlage 1954 stürzten die Franzosen sie einfach mutwillig um. Sie ist wieder aufgebaut, ruht aber nicht mehr auf einer Holzsäule, sondern wird von dem modernen Baustoff Beton gestützt. Der Literaturtempel ist Ziel des Weges. Er wurde 1070 zu Ehren des chinesischen Philosophen Konfuzius erbaut. Hier fanden seit dieser Zeit die Prüfungen zur Auslese für den Dienst als Staatsbeamter statt.

Die Vietnamesen sind fotographiersüchtig. Sie sind nicht nur begierig selbst ins richtige Licht gesetzt zu werden, sondern betreiben aktiv die Jagd nach Motiven. Es muss nun berichtet werden, wie Passepartout selbst zum Opfer dieser Jagd wurde. Bewaffnet mit den modernsten Insignien der asiatischen Daguerrographie näherte sich eine Gruppe von vietnamesischen Teenies, so kann man sie wohl bezeichnen denn keine erweckte den Anschein jünger als dreizehn und älter als neunzehn zu sein. Heftig gestikulierend deuteten sie auf ihre Belichtungsapparate und auf mich. Man muss nicht des Vietnamesischen kundig sein, um die Absicht zu erraten, so meinte ich, die hinter dem Ansinnen stand. Sie möchten gerne als Gruppe abgelichtet werden. Offensichtlich hat die Größe des Objektives, das meinem Fotoapparat vorsteht, gewisse Assoziationen zwischen Dimension und Fachkompetenz bei den jungen Damen hervorgerufen. Wieso wäre sonst die Wahl auf mich und nicht auf einen ihrer Landesgenossen gefallen. Immer zur internationalen Völkerverständigung bereit, erhob ich mich von dem tausendjährigen Stein, der mir ein guter Verweilplatz war, nickte zustimmend mit dem Kopf und streckte Ihnen meine Hand entgegen, um das oder die Objekte an mich zu bringen, damit ich mein Werk beginnen konnte. Ein schrilles Stimmengewirr, das über die Oktaven der Tonleiter tanzte, und jedem Koloratursopran alle Ehre gemacht hätte, setzte ein. Begleitet wurde diese Komposition, von auffordernden Handbewegungen doch näher in ihre Mitte zu kommen. Ich kann nicht verhehlen, dass mich etwas Verlegenheit umfing, denn diese junge Damen waren nicht gerade in der Alterklasse, die für meinen fortgeschrittenen Lebenszyklus das Objekt der Begierde bilden. Meine hilfesuchenden Blicke erreichten Nhi, der seiner immerfreundlichen Gesichtsfassade eine erheiterte Furchung gegeben hat. Europäer sind im Wuchs größer als Asiaten aber offensichtlich sind so stattliche Vertreter dieser Spezies, wie Passepartout sie repräsentiert, auch in diesen Breiten eher eine Seltenheit. Für meine kleine Freundinnen ergab sich nun, anlässlich dieses Spaziergangs am Sonntagmorgen, die freudige Gelegenheit ihrem privaten Umfeld den auf Platte gebannten Beweis zu liefern, das der europäische Yeti keine Schimäre ist. Geduldig ergab ich mich meinem Schicksal und wurde mal allein, mal in Gemeinschaft einer kleinen Asiatin, von vorne, von links und rechts abgelichtet. Schließlich zogen sie, mit freundlich dankenden Verbeugungen, heftig schnatternd von dannen. Für diesen Tag hatte ich genug Karma gesammelt.

Die Fahrt nach Ha Long dauert etwa drei Stunden und man kann in diesem Zeitraum einen Eindruck von dem Wandel bekommen, der sich vollzieht. Links und rechts der Strassen, werden die Reisfelder immer mehr von Industrie- und Gewerbesiedlungen abgelöst. Der Kapitalismus, unter der Ägide eines Einparteiensystems, hat in Vietnam seit „doi moi“  (Erneuerung) Mitte der achtziger Jahre Einzug gehalten. Ha Long bedeutet „herabsteigender Drache“. Nach der Legende soll ein Drache, mit seinem Schwanz die über 3000 Kalksteininseln der Bucht geschaffen haben. Die Wissenschaft führt diese einmalige Formation auf ein Absinken der Kalksteinplatte während der letzten Eiszeit zurück. Leider war Petrus mir nicht hold. Bewölkter Himmel gestattete mir leider nicht den Ausblick, den Catherine Deneuve in dem Film „Indochine“ genießen durfte. Etwas weiter südlich, bei den Grotten von Tam Coc, findet man die gleichen Kalksteinformationen, nur auf dem Trockenen.

Es geht weiter nach Süden, vorbei an Hoang Tru, dem Geburtsort von Ho Chi Minh. Es ist eine der ärmsten Regionen des Landes. Der wenig fruchtbare Boden liefert kaum Ertrag. Die Strasse wird gesäumt von ärmlichen Hütten und einer jungen Vegetation, die 30 Jahre noch nicht überschritten hat, im wesentlichen Eukalyptus und Kiefernbäume. Die Gegend nördlich des 17. Breitengrades war die am meisten von den Amerikanern bombardierte Region. Der Einsatz von „Agent Orange“, der von Präsident Kennedy autorisiert wurde, tat ein übriges. 13 Mio. Tonnen Bomben warfen die Amerikaner ab und sie versprühten 42 Mio. Tonnen des dioxinhaltigen Entlaubungsmittels. Die Vietnamesen schätzen, dass durch den Vietnamkrieg 20.000 qkm Wald und landwirtschaftliche Nutzfläche zerstört wurden. Von den menschlichen Spätfolgen ganz abgesehen. Viele vietnamesische Neugeborene kommen auch drei Generationen nach dem Einsatz von „Agent Orange“ noch mit schweren Missbildungen zur Welt.

Etwas abseits des Weges liegt die Phong Nha Höhle, wie die Ha Long Bucht auch, UNESCO Weltnaturerbe. Diese Höhle ist die größte derzeit in Vietnam bekannte Karsthöhle, die während des amerikanisch-vietnamesischen Krieges als Zufluchtsstätte für die Bevölkerung diente und auch als Lazarett genutzt wurde. Sie liegt im gleichnamigen Nationalpark unmittelbar an der Grenze zu Laos und gehört zum Annamiten-Gebirgszug, der für seine bizarren Kalkfelsen und -höhlen sowie für seine ungeheure Artenvielfalt bekannt geworden ist. Der Park ist eines der größten Kalkstein-Gebiete der Welt und umfasst mehrere hundert Höhlen mit unterirdischen Flüssen und Wasserfällen.

Von Dong Hoi, wo ich die beiden letzten Tage in einem schönen Beach Resort verbringen konnte fahren Tao und ich weiter dem 17.Breitengrad entgegen. Ja es stimmt, Nhi hat mich verlassen und ist nach Hanoi zurückgekehrt. Bald überqueren wir die Hien-Luong-Brücke, die ehemalige Grenze zwischen Nord- und Süd-Vietnam. Das im Norden von Vietnam kühlere Wetter macht angenehmen Temperaturen Platz. Die alte Kaiserstadt Hue liegt am Parfümfluss, der träge dahin fließend und von sanften Hügeln eingerahmt seinen Namen von wohlriechenden Edelhölzer erhalten haben soll, die auf dem Huong Giang, so sein topographischer Name, transportiert wurden. Seit 1801 war Hue Kaiserstadt der Nguyen Dynastie, die bis zur Proklamation der Unabhängigkeit 1945, die letzte Kaiserdynastie in Vietnam stellte. Hue war Zentrum einer der schärfsten Auseinandersetzungen während des Vietnamkrieges und viele der historischen Gebäude der Stadt, insbesondere des Kaiserpalastes wurden zerstört und werden heute mit Unterstützung der UNESCO wiederhergestellt. Obwohl der Krieg viele Wunden hinterlassen hat, umgibt die Stadt immer noch das traditionelle Ambiente einer ehemaligen Metropole.


In Hue hatte ich meine zweite Erfahrung mit dem Versandwesen in Südostasien. In Begleitung von Tao erschien ich in der Hauptpost von Hue, um die für die Heimat bestimmten Dinge auf den Weg zu bringen. Diese hatte ich in einem vorgefertigten Paketset von DHL, von denen ich einige auf die Reise mitgenommen habe, weil in den fernen Ländern des Osten Verpackungen natürlich nicht verfügbar sind, gut eingebettet. Ich erwartete nun den Wiegeprozess und die anschließende Über- raschung bei der Mitteilung der Höhe des Versandpreises, doch gemach. Wir wurden in einen Nebenraum gebeten, wo meine sorgfältige Umhüllung entfernt und jedes Stück einer genauen Inspektion unterzogen wurde. Das in Indien erworbene Shiva-Öl für meine Grazien wurde ausgesondert. Wer weiß, welche Inkredentien in dieser Flüssigkeit enthalten sind? Meine in Nepal erworbene Musik CD fiel ebenfalls der Zensur zum Opfer. Ich konnte nicht den Beweis antreten, dass es sich hierbei um keine Raubkopie handelt. Der Rest wurde ordentlich mit einer vietnamesischen Emballage versehen und gewogen. 20 US $ war das Ergebnis für 4 kg surface-mail. Ist von Deutschland aus teurer, wie ich zwischenzeitlich ergooglet habe.


Die vietnamesische Küche ist vielfältig. Sie hat die Tendenzen französischer cuisine und anderen asiatischen Geschmacksrichtungen in ihrem Angebot verarbeitet. Meine gewohnten europäischen Frühstücksgewohnheiten sind mir in Asien abhanden-gekommen. Morgens nehme ich jetzt eine Brühe mit Fleisch- und Gemüseeinlage zu mir. Was in Malaysia „ Ipoh Kai See Hor“ hieß, nennt man in Vietnam „Pho ba“ (Rind) oder „Pho Ga“ (Huhn). Sehr delikat. Von den Abendgerichten hervorzuheben war Rindfleisch in Lalot (Blätter des Pfefferbaums) eingewickelt und „Banb nam“, zerlaufener Reis mit Meeresfrüchten in einem Reisblatt. Ausgezeichnet! Die Krönung kam aber mit „Krait in sechs Gängen“, den ich in einem „Sternerestaurant“ der Einheimischen genießen durfte. Unter einem Dach aus Bambus, waren Plastikstühle um Tische gruppiert, die auf Lehmboden standen. Die in uringelb gehaltenen Kacheln der Tischauflage wurden geschwind mit einem Lappen bearbeitet, der den Schmutz gleichmäßig verteilte. Der Koch präsentierte mir, sorgfältig in einem Sack eingeschlossen, um sein Entweichen zu verhindern, einen Krait, eine der giftigsten Schlangen Asiens. Meine Zustimmung zur Auswahl der Speise ließ ihn in der Küche verschwinden, um mit einem sechs Gänge Menu aufzuwarten: die sautierte Haut, die gedünsteten Innereien an Safransauce, Salat vom gekochten Muskelfleisch mit Zwiebeln und Melisse, gebratenes Muskelfleisch in einer Soya-Sesam Soße mit Spinat, Gehacktes mit Salat, Ingwer und Erdnüssen und schließlich Suppe von der Schlange mit Reis und Gemüse. Wenn man sich von dem Gedanken löst, dass in unseren Breiten das Vertilgen einer Schlange nicht verbreitet ist und deshalb zu einer gewissen Ablehnungshaltung führt , so war die Zubereitung des Mahles durchaus wohlschmeckend, im zweiten Teil der Menufolge sogar gut, wenn man von der Suppe einmal absieht. Begleitet wurde die Speisefolge von Reisschnaps, einmal mit Blut, dann mit der Galle des Tieres vermischt. Auch besser als der Ruf, der diese Beschreibung auslösen wird.


Der Wolkenpass ist unser nächstes Ziel, jene ca. 500 m hohe Erhebung, die Wetterscheide zwischen den beiden ehemaligen Landesteilen. Er ist zwar nicht, wie üblich in Wolken gehüllt, der diesige Tag erlaubt aber keine gute Sicht auf das südchinesische Meer. Bis zum 15. Jh. war der Wolkenpass die Grenze zwischen dem konfuzianischen Norden und dem hinduistischen Cham Reich. Nach vietnamesischen Angaben sind 80 % der Vietnamesen ohne Religionszugehörigkeit, ca 10 % Buddhisten und ca. 7 % Christen. Als ich Tao gegenüber meine Ungläubigkeit zum Ausdruck brachte, da ich den Anteil der Buddhisten für deutlich höher hielt, bestätigte er mir diesen Trend. Die Vietnamesen verehren viele Götter. Götter werden erwählt. Sie werden für einen bestimmten Zweck z.B. eine gute Ernte angebetet und gehuldigt. Wenn der erwartete Erfolg sich aber nicht einstellt werden sie einfach ausgetauscht. In Vietnam steht Wallhall mächtig unter Leistungsdruck.


Vor 300 Jahren war Hoi An eine bedeutende Hafenstadt. Inzwischen hat es seinen Platz an Da Nang abgeben müssen und verfiel in einen Dornröschenschlaf. Dann kam der Tourismus und hat Hoi An zu Beginn der 90er Jahre wieder wach geküsst. Heute wird die sehr schöne Altstadt mit Hilfe der UNESCO restauriert, ohne aber die Würgemale des Fremdenverkehrs loszuwerden. Die Vietnamesen nutzen natürlich jede sich bietende Gelegenheit, um ihren Lebensstandart zu erbessern. Souvenirläden und fliegende Händler sind die Folge. Der Charme geht etwas verloren, wie überall wo die Krake Tourismus ihre Greifarme ausfährt.

In der Nähe von Hoi An liegt My Son, auch ein Weltkulturerbe der UNESCO. Zwischen dem 4. Und 13.Jh. war My Son, der „schöne Berg“ das religiöse und kulturelle Zentrum der Cham. My Son ist heute eine Ruinenanlage, in landschaftlich wunderschöner Umgebung, von grünen Hügeln überthront. Nicht nur der Verfall durch Witterungseinflüsse hat zu dem heutigen Zustand geführt, sondern wieder einmal heftige Kämpfe während des Vietnamkrieges.


Ich verlasse ein Land, das durch die Befreiungskämpfe des letzten Jahrhunderts immer noch gezeichnet ist, das nach der Vereinigung der beiden Landesteile in eine schwere ökonomische Krise geriet, weil der Austausch der Markt- durch die Planwirtschaft zu abrupt kam, wenn er denn überhaupt zum Wohle der Menschen und nicht der Ideologie möglich ist. Die Neuausrichtung - der chinesische Weg - hat eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gebracht. Tourismus ist ein stark wachsender Wirtschaftszweig, der aber auch seine Spuren hinterlässt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Menschen den Verlust an kultureller Identität mehr als aufwiegt.

Die nächste Station meiner Reise führt mich nach Laos, auch in „Indochine“ und auch noch unter dem Eindruck des letzten Krieges.

 

 

Jean Passepartout

 

   

 

 

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